IT Vertragsrecht: Changes Teil I

Unterscheidung zwischen echten und unechten Changes

Changes werden als Änderungen des ursprünglichen Vertragsinhalts definiert. Das Thema „Changes“ steht in engem thematischen Zusammenhang zu dem Thema „Projektmethodik“.

Man unterscheidet unechte und echte Changes. Ein echter Change soll vorliegen, wenn eine wirkliche Änderung des ursprünglich geänderten Vertragsinhalts besteht, ein unechter Change soll dann vorliegen, wenn in Wirklichkeit keine Änderung, sondern nur eine Konkretisierung des ursprünglichen Vertragsinhalts erfolgen soll. Die Abgrenzung zwischen den beiden Gruppen ist nur durch eine Bewertung anhand der Umstände des Einzelfalls vorzunehmen. Um das zu verdeutlichen, werde ich anhand von sehr bildlichen Beispielen arbeiten.

I. Die Gesetzeslage

Fall 1: Im Pflichtenheft steht, daß der ITler Zitrusfrüchte liefern soll. Er versteht unter dem Begriff Zitrusfrucht Apfelsinen und liefert diese fristgerecht. Der Kunde versteht unter dem Begriff Zitrusfrucht Zitronen und verlangt die Lieferung von Zitronen. Liegt ein echtes oder ein unechtes Changesverlangen vor, wenn der Kunde die Annahme der Apfelsinen ablehnt und dafür Zitronen verlangt?

Fall 2: Variante zu Fall 1: Wie wäre es, wenn der Kunde den ITler darüber informiert hätte, daß er nur Apfelsinensaft produzieren möchte?

Das Beispiel ist merkwürdig, aber plakaktiv. Nach allgemeinem Verständnis gehören Apfelsinen und Zitronen zur Familie der Zitrusfrüchte. Die Parteien haben also übereinstimmend einen Vertrag über die Lieferung von Zitrusfrüchten getroffen, aber – das wollen wir jetzt unterstellen – nicht das Gleiche gemeint.

Das BGB sieht in einem solchen Fall einen sogenannten „versteckten Dissens“ gem. § 155 BGB. Er liegt dann vor, wenn der objektive Erklärungswert eines Begriffs, der einen wesentlichen Teil des Vertrags kennzeichnet, gleich ist, die Parteien diesen Begriff aber so unterschiedlich auslegen, daß sie objektiv etwas anderes mit dem Begriff verbinden. Die Rechtsfolge eines versteckten Dissens besteht dann, wenn der Einigungsmangel einen „wesentlichen Teil“ des Vertrags – also den Gegenstand oder den Preis betrifft – darin, daß der Vertrag nicht zustande gekommen ist. Betrifft der Dissens einen nicht „wesentlichen“ Teil des Vertrags, so soll die Lücke durch Auslegung beigelegt werden, §§ 133, 157 BGB.

Im Fallbeispiel 1.) ist die Abweichung so gravierend, daß kein Vertrag zustande gekommen ist. Im Fallbeispiel 2.) hätte der ITler anhand der Informationen des Kunden redlicherweise erkennen müssen, daß dieser unter dem Begriff der Zitrusfrüchte nur Apfelsinen versteht und ist also zur kostenlosen Lieferung der richtigen Fruchtart verpflichtet.

Was ist wesentlich?

Anders als in meinem plakativen Beispiel sind die meisten Fälle aus der Welt nicht so einfach gelagert, daß man schon nach kurzem Überlegen angeben könnte, ob ein „wesentlicher“ oder „nicht wesentlicher“ Unterschied besteht. Boshaft gesagt behaupte ich, daß schon Philosophen über die Frage der Abgrenzung zwischen den Worten „wesentlich“ und „unwesentlich“ gestorben sind. Wann immer mir (als Anwalt) das Wort „wesentlich“ über den Weg läuft, weiß ich als Anwalt, daß der Gesetzgeber oder Richter mit diesem Begriff einen Terminus verwendet, der den Anwender darauf verweist, auf die Umstände des Einzelfalles abzustellen.

Das aber bedeutet, daß die Unterscheidung von „echten“ oder „unechten Changes“ ebenso wie die Abgrenzung der Begriffe „Wesentlich“ oder „unwesentlich“ aus dem Gesetz nicht befriedigend beantwortet werden kann. Die Aussage: „Es kommt auf die Umstände des Einzelfalles an“ bedeutet für den Praktiker, daß man sich streitet und nur im Falle von eindeutigen Sachlagen der Streit schnell beizulegen ist.

II. Vertragskonstruktionen

1.) Die erste Nachricht ist eine gute Nachricht für all diejenigen, die meinen daß Anwälte zu viel Geld verdienen. Der wesentliche Ansatz, um Streit über den „versteckten Dissens“ zu vermeiden, besteht darin eine gute, allgemeinverständliche Leistungsbeschreibung zu erstellen. Eine solche Leistungsbeschreibung ist natürlich auch ein Pflichtenheft. Hätten die Parteien in dem Beispiel 1. nicht den Terminus „Zitrusfrüchte“ verwendet sondern den Terminus „Apfelsinen“ wäre kein Streit entstanden. Falls Sie jetzt glauben, ein solch unsinniges Beispiel könne nur einem Juristen einfallen, schauen Sie sich bitte den Link Haakjöringsköd-Fall bei Wikipedia nach. Mit der Verwechslung von Walfisch- und Haifischfleisch werden schon Generationen von Juristen geärgert.

2.) Selbst wenn es gewollt wäre, eine Leistungsbeschreibung, die so gut ist, daß sie alle Missverständnisse gar nicht erst entstehen lassen könnte, gibt es vermutlich nicht. Zum einen steckt nicht in jedem Projekt so viel Geld, daß der ITler immer eine komplette, alles an Missverständnissen ausschließende Leistungsbeschreibung erstellen könnte, zum anderen basieren viele Probleme aus den „Fehlern“ von Pflichtenheften auf Informationen der Mitarbeiter der Kunden, die dem ITler erst überhaupt nicht auffallen. Die Kunden tun natürlich gut daran, ein Unternehmen auszuwählen, daß schon häufig in einer Branche gearbeitet hat, weil dem ITler Gedanken und Prozesse des neuen Kunden bekannter sind. Aber überspannen sollte man die Anforderungen auch in solchen Fällen nicht. Praktisch jedes Unternehmen pflegt in Abhängigkeit zu den jeweiligen Mitarbeitern seinen eigenen Standard, so daß schon der Begriff „Standard“ oft zu Unrecht verwendet wird.

3.) Das Problem aus juristischer Warte besteht eben darin, daß im Falle eines Dissenses, der erst nach dem Vertragsabschluß erkennbar wird, nur eine begrenzte Anzahl von juristischen Lösungsmöglichkeiten bestehen.

– Einigungsverfahren: Change Management Verfahren, Mediation

Nachdem ich mehr als sechszehn Jahre auf dem Feld arbeite, mag man mir meine harschen Worte verzeihen: Egal ob man Anglizismen verwendet oder deutsche Worte: Das BGB kennt im Falle des Streits über den Vertragsinhalt nur zwei Wege der Streitbeilegung: Den Vergleich oder das förmliche Verfahren, in dem ein Dritter – namentlich der Richter – darüber entscheidet, was richtig oder falsch ist. Die Begriffe Change Request Verfahren, Mediation, Streitbeleigungsverfahren sind alle der Gruppe des Vergleichs zuzuordnen. Auf förmlichen oder nicht förmlichen Wegen soll ein Vergleich herbeigeführt werden, damit ein langes Gerichtsverfahren nicht bestritten werden muß. Egal, was man im Einzelfall sagt: Die Leistungsfähigkeit dieser Verfahren richtet sich danach, wie groß die Einigugnsbereitsschaft der Parteien ist.

– Richtige Prozeßmethodik

Ist erkennbar, daß es sich bei dem Vertrag um einen Projektvertrag handelt, kann man durch eine „richtige“ Prozeßmethodik Regeln finden, wie der Konsens über nachträgliche Änderungen auch nach dem Vertragsabschluß erzielt werden soll und welche Regeln gelten sollen, wenn der Konsens nicht hergestellt werden kann. Davon handeln eine Reihe weiterer Blogs zum Thema Projektmanagement.

III. Zusammenfassung

Die Unterscheidung zwischen „echten“ und „unechten“ Changes ist Frage, die oft nur über eine Auslegung zu erzielen ist. Das Gesetz sagt, daß bei einem Mangel über einen „wesentlichen“ Teil kein Vertragsabschluß vorliegt. Im übrigen ist durch Auslegung der richtige Vertragsinhalt zu ermitteln.

 

 

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