Projektverträge: Das rechtliche Verhältnis von Individualisierung und Standardvertrag

Das rechtliche Verhältnis zwischen Standard- und dem Projektvertrag war immer wieder Gegenstand von Kontroversen. Es geht um Fragen wie „Wenn der Projektvertrag scheitert, muß dann auch der Vertrag über den Kauf der Software rückabgewickelt werden?“ oder „unserer SaaS Lösung soll individualisiert werden: Was geschieht denn eigentlich, wenn 95% der Lösung, die aus der Standardlösung funktionieren und der Kunde den Rücktritt vom Vertrag geltend machen will, weil die Individualisierung, die nur einen kleinen Bruchteil ausmacht, nicht funktioniert?“ oder „wenn dann nach 2 Jahren, nachdem der Kunde das IT System nutzt.

Es geht um die Themen Gewährleistung und Kündigung und die Frage, ob und wie der eine Teil der  Vereinbarung auf den anderen Teil der Vereinbarung Auswirkungen hat.

Zu unterscheiden sind die Begriffe „Rücktritt“ und „Kündigung“. Rücktritt bedeutet also eine Rückabwicklung aller Leistungen, die bis dahin ausgetauscht worden. Im Werkvertragsrecht bedeutet ein wirksamer Rücktritt, daß alle Leistungen ohne Zahlungen erbracht wurden. Kündigung bedeutet, daß ab dem Moment des Wirksamwerdens der Kündigung keine Leistungen mehr auszutauschen sind.

Zu unterscheiden sind zweitens die Phasen „Erreichen der Betriebsfähigkeit“ und „Betrieb“. Wenn ein Vertrag davon ausgeht, daß ein Standard verkauft / oder vermietet wird und der Kunde diesen Standard nur in der individualisierten Form verwenden möchte (also nach der Parametrisierung oder dem Customizing), dann bewerten die Juristen beide Verträge gemeinsam als wirtschaftliche Einheit.

Beispielsgruppe I: Erreichen Betriebsfähigkeit, Abnahme nicht erteilt

Die Ziele des Projekts werden nicht erreicht. Der Teil des Vertrags, mittels dessen die Individualisierung erreicht werden sollte, ist als Werkvertrag zu qualifizieren.

Bsp 1: Kaufvertrag  über den Standard + Vertrag über die Individualisierung:

Ist der Vertrag, der zur Individualisierung führen soll, als Werkvertrag zu qualifizieren (was ja regelmäßig der Fall ist, wenn keine abweichenden Regelungen getroffen werden), dann bedeutet eine Rückabwicklung des Werkvertrags auch eine Rückabwicklung des Kaufvertrags. Alles andere müsste ausdrücklich geregelt werden.

Bsp 2:  Mietvertrag über den Standard + Vertrag über die Individualisierung:

Hier wird der Mietvertrag meistens erst dann in Kraft gesetzt, nachdem der Werkvertrag erfolgreich abgeschlossen wird. Sonst müsste der Mietvertrag bis zum Zeitpunkt der Geltendmachung des Rücktritts rückabgewickelt werden, wenn der Kunde den Standard nicht produktiv genutzt hat.

Beispielsgruppe II: Betriebsphase erreicht, keine Pflege / Wartung der individualisierten Lösung.

Während der Betriebsphase kommt es zu Mängeln an dem Standardsystem oder an dem Individualisierten Teil. Gewährleistungsansprüche aus dem Kaufvertrag / Werkvertrag sind nicht verjährt.

Bsp 1: Der Kunde macht nach der Abnahme während der Laufzeit der Gewährleistung (gleich ob für den kaufrechtlichen oder werkvertraglichen Teil) Gewährleistungsrechte in Form des Rückstritts geltend.

Die Erklärung des Rücktritts wirkt auf beide Teile. Monetär Anzurechnen ist die Dauer der aktiven Nutzung des Systems.

Bsp 2: Der Kunde macht während des Mietvertrags Gewährleistungsrechte in Form des Rückstritts geltend, aber erst nachdem die Gewährleistungsansprüche aus dem Werkvertraglichen Teil verjährt sind.

Hier greift nur die Kündigung, nicht der Rücktritt. Ab dem Moment des Wirksamwerdens der außerordentlichen Kündigung muß der Kunde nicht mehr für den Betrieb bezahlen.

Beispielsgruppe III

Bsp 1:  Fall wie zuvor, aber der Kunde hat für den individualisierten Teil einen Softwarepflegevertrag abgeschlossen.

Der Kunde muß dafür sorgen, daß die individualisierte Software auch während der Betriebsphase in der Gewährleistung bleibt. Das erreicht er entweder, in dem ein Softwarepflegevertrag für die individualisierte Lösung abgeschlossen wird. Die Pflichten des Softwareherstellers für die Individuallösung bestehen darin, daß Standard- und Individuallösung kompatibel sein müssen. Im Übrigen gelten für die Standardlösung die gleichen Regelungen zur Aufrechterhaltung der Betriebsfähigkeit wie für die Individuallösung.

Hier greift die Kündigung für den Softwarepflegevertrag für die Individualsoftware ebenso wie die Kündigung für den Mietvertrag, der Standardlösung betrifft.

Handlungsanweisungen

1.) Will das IT Unternehmen erreichen, daß die Verträge über die Überlassung der Standardsoftware (egal ob Kauf oder Miete) sicher vor einer Rückabwicklung sind, ist entweder zu regeln, daß der Vertrag zur Anpassung / Erstellung der Individualsoftware als Dienstvertrag zu qualifizieren ist. Wenn das nicht funktioniert, muß ausdrücklich klargestellt werden, daß – oder ab welchem Zeitpunkt – das rechtliche Schicksal der Verträge getrennt voneinander zu betrachten ist.

2.) Will der Kunde die rechtliche Trennung nicht vollziehen, sollten alle Leistungen in einem Vertragstext aufgesetzt werden und davon gesprochen werden, daß es sich bei den Teilen um einen einheitlichen Vertrag handelt.

3.) Will das IT Unternehmen erreichen, daß nach Erklärung der Abnahme das Geld für die Anpassung der Software nicht im Wege eines Rücktritts zurückverlangt werden kann, weil die Standardsoftware nicht funktioniert, muß man die Gewährleistung für die Standardsoftware und Individualsoftware getrennt regeln.

4.) Will  der Kunde, daß das rechtliche Schicksal von Standard- und Individualsoftware vereinheitlicht wird, muß er darauf achten, daß die Kompatibilität beider Softwaretypen gewährleistet wird und für beide muß ein Vertrag abgeschlossen werden, die die Vermietung oder die Pflege der Software insgesamt und nicht nur einzelner Teile vorsieht. In diesem Zusammenhang ein Beispiel: Die Pflege von Individualsoftware kann sehr teuer werden, wenn der Kunde aus welchen Gründen auch immer die Übertragung von ausschließlichen Nutzungsrechten wünscht. Besser ist die Übertragung von nicht ausschließlichen Nutzungsrechten.

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