IT Recht: Höhere Gewalt und Wegfall der Geschäftsgrundlage Teil I

Höhere Gewalt, Wegfall der Geschäftsgrundlage

 

Die Pandemie und damit verbundene Reaktion der Politik haben eine Reihe von Fragenstellungen in den Vordergrund rücken lassen. Was ist höhere Gewalt, wann kann sich der Kunde oder das IT- Unternehmen auf einen Fall der höheren Gewalt berufen und was sind die Folgen?

Gibt es ein Leistungsverweigerungsrecht des IT- Unternehmens, Kündigungsrechte des Auftraggebers oder Ansprüche auf Anpassung des Vertrags? Zentral sind die Begriffe der „Höheren Gewalt“, „Verschulden“ und des „Wegfalls der Geschäftsgrundlage“.

  1. Höhere Gewalt

Merksatz: Wo höhere Gewalt vorliegt, liegt kein Verschulden vor und nur dort, wo kein Verschulden besteht, gibt es keine Haftung. Der Knackpunkt ist aber die Schwelle für das Bestehen eines Verschuldens. Denn:

Der BGH hat im 2017 eine Formulierung für das Reiserecht (§ 651j) gegeben, die eine Begriffsfindung durch das Gericht aus dem Jahr 2017 wiederholt: Ein von außen kommendes, auch durch äußerste und vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht abwendbares Ereignis, das weder der betrieblichen Sphäre des Reiseveranstalters oder des Reisenden zuzuordnen ist. Das Vorliegen eines Falles höherer Gewalt schließt das Verschulden aus. Andere Versuche einer Definition: Höhere Gewalt ist ein für keine der Parteien bei Anwendung normaler Sorgfalt vorhersehbares, nicht vermeidbares Ereignis.

Der BGH sagt also: „Höhere Gewalt“ sind Fallsituationen, in denen nicht vorhersehbar war, dass man eine geschuldete Leistung nicht erbringen kann. Wann ist das der Fall? Wie ist der Zusammenhang mit Corona?

Das Problem der Juristen ist im Moment: Es gibt keine Gerichtsurteile, die belegen, ob und für welche Branchen Corona eine Situation höherer Gewalt ist.  Bei Corona wird man differenzieren müssen, welche Situation zu welchem Zeitpunkt bestand. Anfang März war die Situation anders, als zu späteren Zeitpunkten, IT- Unternehmen, die mit Hardware ihr Geld verdienen sind anders zu behandeln als Rechenzentren und Softwarehäuser. Es muss auf die Umstände des Einzelfalls eingegangen werden.

Zwei Situationen sind zu unterscheiden. Konnte das Hindernis zum Zeitpunkt der Eingehung des Vertrags erkannt und umgangen werden, wann wurde der Vertrag abgeschlossen und wann trat der Fall höherer Gewalt ein?

1.) Geldschulden:

Fall 1: Der Kunde A kann die vereinbarten Honorare für den Projektvertrag nicht mehr bezahlen, weil ihn wegen Corona Zahlungsausfälle treffen und er kein Geld hat. Das ist nach dem Gesetz egal. Das Gesetz formuliert: Geld hat man zu haben. Wenn ich einen Vertrag abschließe, habe ich die Zahlungspflicht gegen den Vertragspartner. Das gleiche gilt für IT- Unternehmen gegenüber den Subunternehmern. Der Einwand „der Kunde zahlt nicht wegen Corona“ ist kein wirksamer Grund.

Höhere Gewalt ist also kein allwirksamer Entschuldigungsgrund.

Das einfachste Bild für Laien ist das Versprechen. Wenn ich einen Vertrag abschließe, gebe ich ein Versprechen ab. Wenn ich zum Zeitpunkt des Abschlusses des Vertrags schon weiß oder hätte wissen müssen, dass ich den Vertrag vielleicht nicht erfüllen kann, darf ich den Vertrag nicht abschließen. Und: Das Risiko, dass der Kunde später kein Geld hat, weil sich seine geschäftliche Entwicklung durch einen Fall der höheren Gewalt anders als von ihm erwartet entwickelt, liegt allein beim Kunden.

2.) Termine, Leistungseinrede

Fall 2:

Der Projektvertrag wurde vor dem Ausbruch der Pandemie abgeschlossen. Darin hat das IT- Unternehmen X das Erreichen von Milestones zu bestimmten Zeitpunkten versprochen. Der zweite der Milestones kann aber nicht erreicht werden, weil nach Ausbruch der Pandemie trotz Teams, Zoom und anderer Online- Tools die Abstimmung mit dem Kunden einfach nicht so funktioniert, als wenn man Workshops oder Schulungen vor Ort durchführt. Außerdem sind viele der eigenen Mitarbeiter nicht greifbar, weil sie schulpflichtige Kinder haben und nicht im gewohnten Umfang mitarbeiten konnten.

Zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses konnte das IT- Unternehmen die Pandemie und die damit verbundenen Verzögerungen nicht vorhersehen. Mithin ist das Nichterreichen der Milestones eben genau nicht verschuldet.

Was sind jetzt die Rechte beider Parteien?

a.) Wenn ein Leistungshindernis aufgrund höherer Gewalt besteht, dann pausieren die Leistungspflichten;

b.) Wenn das Leistungshindernis weiter anhält, besteht ein Kündigungs/Rücktrittsrecht aufgrund der Situation nur dann, wenn

aa.) kein Verschulden vorliegt (man also nichts gegen die Situation tun kann).

bb.) also ein Fall objektiver Unmöglichkeit besteht = niemand kann leisten (das wird praktisch nie der Fall sein)

cc.) kein Anspruch auf die Anpassung des Vertrags (Leistung/ Gegenleistung) besteht. Diesen Punkt werde ich unter dem Stichpunkt „Wegfall der Geschäftsgrundlage/ Anpassung des Vertrags“ besprechen.

Nach Ablauf einer angemessenen Zeitspanne können die die Verträge gekündigt werden, ohne dass damit eine Schadensersatzpflicht verknüpft ist.

Status heute

Das bedeutet aber für den Status heute: Wir wissen derzeit alle, dass eine zweite Welle kommen kann. Wenn eine zweite Welle kommt, kann man sich dann nicht exkulpieren mit der Aussage, Corona sei eine Situation höherer Gewalt. Corona heute bedeutet, sich auf Corona morgen vorzubereiten und keine Vertragsversprechungen abzugeben, die man bei einem Coronafall der zweiten Welle hat.

III. Folgerungen

1.)  Der Gesetzgeber hat nicht an Corona gedacht. Der Verschuldensmaßstab ist massiv, die zu erfüllenden Anforderungen sind sehr, sehr hoch. Sie sollten also regeln, dass die Anforderungen, die das Gesetzes  an das Bestehen einer Situation stellt, gemindert werden. Das kann man tun, weil man den objektiven Maßstab dessen, was man „vernünftiger Weise“ im Voraus an Maßnahmen zu tun hat, vorgeben und mit dem Kunden konkretisieren kann. Man kann – und das ist unabhängig von Corona nicht neu – regeln – dass ein objektiver Maßstab besteht, der den Sorgfaltsmaßstab konkretisiert.

Es liegt kein Verstoß vor, wenn ich einen Mechanismus vereinbare, diesen realisiere und dieser funktioniert nicht. Bsp: Ich habe vereinbarungsgemäß den Windows Defender verwendet, aber  es kam trotzdem zu einem Malwarebefall.  Erst wenn klar ist, dass der Defender kein vernünftiges Mittel ist, muss man den Maßstab ändern.

Es liegt kein Verstoß vor, wenn mein Mitarbeiter an Corona erkrankt  /oder Mitarbeiter meines Subunternehmers erkranken und sich die Fristen für die Verlängerung der Fristen nicht um mehr als XX Tage verlängern.

2.) Man kann und muss Änderungsmechanismen mit dem Kunden zur Anpassungen von Fristen und Terminen vereinbaren. In den meisten Verträgen steht kein Mechanismus, der besagt, dass bei Auftreten der zweiten/dritten Welle Ansprüche des Kunden oder des IT- Unternehmens auf Anpassung des Vertrags bestehen, weil die unter dem Punkt 1 beschriebenen Maßnahmen nicht funktionieren. Aber dieser Punkt ist für mich nicht so wichtig, wie eben jetzt darüber nachzudenken, wie man sich im Fall des Auftretens einer zweiten Welle aufzustellen hat.

3.) Das gilt übrigens gerade auch für das leidige Thema Mitwirkungspflichten des Kunden. In den größeren Projektverträgen ist es üblich, dass der IT-ler einen Anspruch darauf hat, dass er kostenlos eine Zeitspanne X abwarten muss, bis man entscheiden muss, ob der Projektplan angepasst werden muss/oder wie lange das IT- Unternehmen auf die unterlassene Mitwirkung warten muss.

Teil II

Wegfall der Geschäftsgrundlage

 

 

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