Untersuchungs- und Rügeobliegenheiten des Käufers beim Handelskauf

Untersuchungs- und Rügeobliegenheiten des Käufers beim Handelskauf

 

 § 377 HGB

Die wichtigste Vorschrift, die der Käufer nach dem HGB zu beachten hat, ist der § 377 HGB. Gemäß § 377 HGB obliegt es bei einem beiderseitigen Handelskauf dem Käufer, die Ware unverzüglich zu untersuchen. Dabei zutage tretende Mängel sind dem Verkäufer unverzüglich anzuzeigen. Unterlässt der Käufer eine solche Anzeige, riskiert er den Verlust aller Gewährleistungsrechte.

 Anwendbarkeit

 § 377 HGB ist anwendbar auf ein beiderseitiges Handelsgeschäft, welches auf den Kauf von beweglichen Waren oder Wertpapieren, oder die Lieferung herzustellender oder zu erzeugender beweglicher Sachen gerichtet ist. Tatsächlich kann man auch Wertpapiere rügen: Nämlich dann, wenn die Urkunde äußerlich versehrt ist.

 Rechtsmängel müssen nicht unverzüglich gerügt werden. Von der Verpflichtung des Käufers auszugehen, die Ware unverzüglich zu rügen. Im Rahmen des Leasingrechtes ist zu unterscheiden, ob der Leasingvertrag dem Mietrecht oder dem Kaufrecht zuzuordnen ist. Muss das Leasingobjekt am Ende des Leasingvertrages an den Leasinggeber zurückgegeben werden, so handelt es sich um einen Mietvertrag. In diesem Fall kann eine Rügeobliegenheit nicht durch allgemeine Geschäftsbedingungen zur Verpflichtung des Leasingnehmers gemacht werden. Anders sieht es aus, wenn der Leasingnehmer nicht verpflichtet ist, die Mietsache am Ende des Leasingvertrages zurückzugeben. Handelt es sich in Wahrheit um einen Abzahlungskauf oder um einen Mietvertrag, der mit einer Kaufoption gekoppelt ist, so ist Kaufrecht anwendbar. In diesen Fällen kann auch durch allgemeine Geschäftsbedingungen dem Leasingnehmer die Pflicht auferlegt werden, die Leasingsache unverzüglich nach Übergabe zu untersuchen.

 Weitgehend unbekannt, aber von großer praktischer Relevanz ist die Verpflichtung des Käufers, die Kaufsache auch nach der Durchführung einer Nachbesserung bzw. Nachlieferung untersuchen zu müssen. Die Rügeobliegenheit besteht auch dann, wenn eine reparierte oder im Wege der Nachlieferung gelieferte neue Sache dem Käufer übergeben wird. Die Rügeobliegenheit besteht auch dann, wenn nicht die richtige Ware geliefert wurde oder wenn die Mengenangaben abweichen.

 Untersuchungspflicht: Tiefe und Zeitaufwand

 Der Käufer hat die Ware zu untersuchen, soweit dies einem ordnungsgemäßen Geschäftsgang  tunlich ist. Die Art und der Umfang der Untersuchung richten sich nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalles. Dabei sind insbesondere Faktoren wie etwaig einschlägige Handelsbräuche, Kosten, die Qualifikation des Käufers und die sich aus dem Kauf ergebenden Risiken zu beachten. Jedenfalls darf das Maß des Zumutbaren nicht überspannt werden. Die Rügepflicht führt nicht dazu, dass der Käufer in unzumutbarer Weise verpflichtet ist, die Ware zu untersuchen. Grundsätzlich gilt, dass der Käufer eine genaue Untersuchung mit fachmännischer Sorgfalt vornehmen muss. Er kann sich nicht damit entschuldigen, dass diese fachmännische Untersuchung eine gewisse Zeit dauert und besondere Fachkenntnisse erfordert. Bei gleichartigen Massengütern reicht es aus, wenn der Käufer Stichproben nimmt. Bei Markenware ist stets eine Untersuchung vonnöten; diese Ansicht wird derzeit unter der Anwendbarkeit des HGB noch vertreten. Im UN-Kaufrecht gilt dies nicht, da Markenware besonderen Anforderungen unterliegt.

 Bei so genannten Just-in-Time-Lieferungen ist nach herrschender Ansicht davon auszugehen, dass solche Verträge selbständige Garantieverträge beinhalten. Zum einen ist es sicherlich richtig, dass eine Just-in-Time-Lieferung keine detaillierte Untersuchungspflicht des Käufers mehr voraussetzt. Wenn der Käufer gezwungen ist, sich die entsprechende Zeit mit der Untersuchung der Ware zu nehmen, wäre der Sinn einer Just-in-Time-Vereinbarung pervertiert. Deshalb wird in der Vereinbarung einer Just-in-Time-Lieferung zugleich die Garantie liegen, dass die Ware eine entsprechende Qualität aufweist, die eine Rüge überflüssig macht. Aber: Im Handelsrecht besteht noch keine entsprechende Handelsübung. Entsprechende vertragliche Regelungen sollten also aufgenommen werden.

 Im Rahmen von Sukkzessivlieferungen muss jede einzelne Teillieferung untersucht werden. Ein Gastwirt muss also jedes einzelne Bierfass, das ihm im Laufe eines Jahres geliefert wird, untersuchen.

 In einer ständigen Geschäftsverbindung richtet sich die Intensität der Untersuchungspflichten nach der Länge und der Intensität der Geschäftsbeziehung. Je länger die Geschäftsbeziehung andauert und desto weniger der Käufer Anlass hatte, der Qualität der Ware zu misstrauen, desto geringer sind die Sorgfaltspflichten, die er bei der Untersuchung der Ware anwenden musste. Die Untersuchungspflicht besteht am Ort der Ablieferung bzw. Übergabe der Ware. Bei einer Holschuld ist die Ware bei der Abholung und der Übernahme der Ware zu untersuchen. Bei Versendungskäufen besteht die Untersuchungspflicht dann, wenn die Ware dem Käufer übergeben wird. Ist die Ware am Bestimmungsort eingetroffen und ist der Käufer zur Übernahme aufgefordert worden, so hat er auch die Ware unverzüglich zu untersuchen. Auch bei Bringschulden ist die Rügepflicht mit der Übergabe der Ware zu erfüllen. Sofern die Ware selbst noch zu montieren (oder wie bei Computersoftware zu installieren) ist, entsteht die Rügepflicht mit dem Moment der Fertigstellung bzw. mit dem Moment, in dem der Käufer den Probelauf vornehmen kann. Sofern der BGH dieser Ansicht nicht folgt, verlängert er die Rügefrist bis zu dem Moment, in dem der Käufer die Anlage überprüfen konnte und kommt somit zum gleichen Ergebnis.

 Die Länge der Frist ist variabel. Sie hängt von den objektiven Umständen des Einzelfalles ab. Kurze Fristen gelten dann, wenn die Ware verderblich ist. Kurze Fristen gelten auch dann, wenn die Ware zur weiteren Verarbeitung bestimmt ist. Die Frist beträgt bei komplizierten Sachverhalten bis zu einem Monat aber nicht länger.

 Sofern der Käufer einen Mangel festgestellt hat, muss er unverzüglich die Rüge erklären. Die Rügeerklärung ist eine rechtsgeschäftliche Handlung, auf die die Vorschriften der Willenserklärung analog angewendet werden. Folge: Die Rüge muss dem Verkäufer zugehen. Gemäß § 377 Abs. 4 HGB reicht das rechtzeitige Absenden der Mängelrüge. Die Rüge muss inhaltlich so ausgestaltet sein, dass der Verkäufer weiß, warum die Leistung als vertragsgemäß abgelehnt wird. Es ist nicht zu verlangen, dass der Käufer die Ursache des Mangels angibt; aber er muss die Symptome so genau als möglich beschreiben.

 Die Rüge ist dann unverzüglich abgesendet, wenn sie binnen einer Frist von 1 bis 2 Tagen auf den Weg geschickt wird. Etwas anderes gilt natürlich erneut dann, wenn es sich um leicht verderbliche Waren handelt oder um Waren, die zur Weiterverarbeitung bestimmt sind.

 Die Frist nach § 377 Abs. 1 HGB beginnt, wenn sich der Mangel zeigt. Insofern ist zwischen offenen und verdeckten Mängeln zu unterscheiden. Ein offener Mangel liegt dann vor, wenn er bei der Ablieferung zu Tage tritt oder bei einer ordnungsgemäßen Untersuchung hätte erkannt werden können. Die Frist beginnt frühestens mit der Ablieferung, dann aber in dem Moment, in dem sich der Mangel zeigt. Ein versteckter Mangel liegt dann vor, wenn der Mangel auch bei ordnungsgemäßer Untersuchung binnen der normalen Rügefrist nicht zutage getreten ist. In diesem Fall trägt der Käufer die Beweislast dafür. Sobald der Mangel erkannt wurde, ist er unverzüglich anzuzeigen.

 Versäumt der Käufer die Anzeige des Mangels, so gilt nach § 377 Abs. 2 HGB, dass die Ware als genehmigt gilt. Sämtliche Rechte, die auf den Mangel beruhen, sind abgeschnitten. Der Käufer kann also wegen dieser Mängel nicht mehr Nacherfüllung verlangen, vom Vertrag zurücktreten, Schadenersatz oder Minderung verlangen. Auch die Geltendmachung von Mangelfolgeschäden ist ausgeschlossen. Etwas anderes gilt nur dann, wenn der Mangel arglistig verschwiegen wurde.

 

Rechtsanwalt Stefan G. Kramer

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