Erstattungsfähigkeit von vorprozessualen Anwaltsgebühren

Der BGH hat in einer Entscheidung vom 16. Januar 2009 (V ZR VIII 133/08) eine Trendwende markiert. Die zu entscheidende Frage lautet im Kern, ob dem eigenen Mandanten ein Anspruch auf Erstattung der vorprozessualen Gebühren des eigenen Anwalts zusteht, wenn die Gegenseite zu Unrecht Ansprüche geltend macht. Dieses Thema kennt jeder: Man wird zu Unrecht abgemahnt, zu Unrecht gekündigt oder in einem Vertrag zu Unrecht zu bestimmten Maßnahmen aufgefordert und ist gezwungen, sich der Hilfe eines Anwalts zu bedienen. Entweder es kommt zu keinem Gerichtsverfahren, und man bleibt auf den Kosten des eigenen Anwalts sitzen oder es kommt zu einem Verfahren. Dann aber sind die Kosten für die außergerichtliche Tätigkeit nur unter bestimmten Voraussetzungen erstattungsfähig.

Der Grundsatz, den das Gesetz formuliert, ist einfach: Falls man einen Verkehrsunfall erleidet, werden die Kosten des eigenen Anwalts sowie des Arztes auch von dem Schädiger erstattet. Falls  sich der Gegner mit der Erfüllung eines Anspruchs in Verzug befindet, werden die Kosten für den eigenen Anwalt auch erstattet. Warum sollte etwas anderes gelten, wenn der Schädiger zu Unrecht Ansprüche auf Erfüllung von Gewährleistungsansprüchen oder Schadensersatz stellt? Die deutschen Gerichte urteilen: Nur dann, wenn der Rechtsanspruch des Gegners für diesen erkennbar abwegig sein musste, hat man Anspruch auf Erstattung der Kosten.

Mit anderen Worten: Wer ohne die Außerachtlassung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt davon ausgehen kann, daß der vorgetragene Rechtsstandpunkt nicht völlig abwegig ist, wird auch in Zukunft keine Sorgen leiden müssen, die Kosten des gegnerischen Rechtsanwalts tragen zu müssen. Ansprüche, die man nach dem juristischen Jargon nicht „vertreten“ kann, die also nicht methodisch begründbar sind oder in offensichtlichem Widerspruch zu Gesetzen oder gerichtlichen Entscheidungen stehen (Recht besteht in Deutschland immer aus der Summe von Gesetzen und der sie weiter konkretisierenden Entscheidungen der Gerichte), lassen sich in Anwaltsschreiben nicht vortragen. Die Rechtsprechung des BGH ist insofern nicht neu, als er bereits im gewerblichen Rechtsschutz – namentlich im Bereich des Wettbewerbs- und Markenrechts) davon ausgegangen war, daß jemand, der eine Abmahnung schreiben lässt, ohne daß der Tatbestand der anspruchsbegründenden Norm vorliegt, einen Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb vornehmen lässt.  Falls eine Abmahnung sich also auf eine Marke stützt, die es nicht gibt oder eine Werbung angreift, die nach dem einschlägigen Gesetz eben genau nicht verboten ist, kann der gegnerische Anwalt für seinen eigenen Mandanten einen Erstattungsanspruch geltend machen.

Kurzform: Der Sachverhalt, auf den man sein Schreiben stützt muß stimmten und die juristische Argumentation muß bei einem Gericht nicht „abgeschmettert“ werden können, sondern sollte sich zumindest als juristisch diskutierbar erweisen. Falls ein Gericht in einer Entscheidung eindeutig schreibt, daß der geltend gemachte Anspruch nicht besteht, weil z.B. der falsche Beklagte angegangen wurde oder die Gesetze des Anspruch überhaupt nicht decken, werden auch die vorprozessualen Kosten eines Anwalts zu tragen sein. Die Rechtsprechung des BGH ist insofern sehr restriktiv und ersichtlich darauf ausgerichtet, die Gerichte nicht mit allen Fällen zu belasten, in denen eine Seite glaubt, man sei zu Unrecht in Anspruch genommen worden.

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