Softwarevertragsrecht – Fehlen des Pflichtenhefts

Das Pflichtenheft ist dasjenige Dokument, das den Inhalt der Leistungspflicht fxiert. Gegen das Pflichtenheft wird abgenommen. Festlegungen im Pflichtenheft sind maßgeblich dafür, ob ein Mangel vorliegt oder nicht.

Fall 1: Voller Freude schließen IT-Unternehmen A und Kunde K einen Vertrag über die Anpassung einer Software ab. Mindestens 300 Manntage auf Basis von T&M werden beauftragt. A hat keine Angst vor dem Werkvertragsrecht, denn der Kunde hat außer ein paar vagen Äußerungen in den Vorgesprächen noch keine konkreten Planungsunterlagen vorgelegt und ein Pflichtenheft gibt es schon mal gar nicht.

Frage 1.) Muß A beim K auf das Fehlen des Pflichtenhefts hinweisen?

Oftmals wird in Prozeßen, Vergleichsverfahren sichtbar, daß ein Pflichtenheft fehlt. IT-Unternehmen beklagen oft, daß der Kunde zwar die Wahl des erfolgsbezogenen Werkvertragsrecht wünscht, aber dann kein Pflichtenheft zur Verfügung steht. Es ist grundsätzlich Sache des Auftraggebers dafür zu sorgen, daß ein Pflichtenheft vorhanden ist. In der Literatur (Redeker, Softwareerstellungsverträge, D- 147) wird aber zu Recht verlangt, daß das IT-Unternehmen dem nicht IT versierten Kunden einen Hinweis gibt, daß ohne das Bestehen eines Pflichtenhefts große Risiken für das Projekt drohen, weil der Inhalt der zu liefernden Leistung nicht oder nur unklar bestimmt werden kann.

Frage 2: Gesetzt, A hat den K nun auf die Notwendigkeit des Bestehens eines Pflichtenhefts hingewiesen: Was geschieht, wenn der K nun ankündigt, das Pflichtenheft nun selbst erstellen zu wollen, das aber unterbleibt. Was muß A tun und landet man nun im Dienstvertragsrecht? Was muß A nun abliefern?

Gibt das IT-Unternehmen dann im Rahmen seiner Aufklärungspflichten einen entsprechenden Hinweis und bestimmt der Auftraggeber dann, daß er das Pflichtenheft selbst oder durch Dritte erstellen lässt, ist die Lastenverteilung zunächst geregelt. Unterlässt der Auftraggeber die fristgerechte Erstellung des Pflichtenhefts, so gerät er in Annahmeverzug, weil er eine ihm obliegende Mitwirkungspflicht verletzt. Dem Auftragnehmer stehen dann die entsprechenden Rechtsmittel der §§ 642, 643 zu. Faktisch machen aber die wenigsten IT-Unternehmen von diesem Rechtsmittel Gebrauch und es wird dann (sorry für den Terminus) munter in Blaue programmiert mit der dann immer wiederkehrenden Behauptung, man habe ja wegen der unklaren Zielbestimmung einen Dienstvertrag geschlossen. Das stimmt so nicht. Tatsächlich schuldet das IT-Untenehmen nun ein Werk mittlerer Art und Güte. Und was unter diesem Terminus in Bezug auf das konkrete Projekt genau zu verstehen ist, darüber kann man sich trefflich streiten.

Frage 3: Wenn A den Hinweis nach I. unterlässt: Welche Pflichten in Bezug auf das Pflichtenheft hat A ?

Unterbleibt der Hinweis auf die Erforderlichkeit des Pflichtenhefts, so soll A nach den oben geschilderten Ansicht der Literatur dazu verpflichtet sein, das Pflichtenheft nachträglich zu erstellen. Das überzeugt mich nicht. Erstens wird diese Verpflichtung erst im Rahmen eines juristisch begleiteten Eskalationsverfahrens zwischen den Parteien wirklich klar werden. Denn faktisch wird in solchen Fällen seitens des IT-Unternehmens erst einmal programmiert und dann werden dem Kunden die Ergebnisse präsentiert. Und erst dann zeigt sich, wie weit der erstellte Istzustand des Programms von den Vorstellungen den Kunden entfernt ist. Findet dann ein Neuaufsetzen des Projekts statt, wird schnell klar werden, daß ein Pflichtenheft zu erstellen ist. Da das IT-Unternehmen diese Arbeit nur gegen Kostenerstattung vornehmen wird, wird es in den Fällen, in denen sich die Parteien hierüber nicht einigen, zu einem Prozeß kommen. Und die Antwort des Gerichts wird nicht sein, daß mangels Hinweis über das Erfordernis eines Pflichtenhefts nun das IT-Unternehmen  komplett für das Scheitern des Projekts zur Verantwortung zu ziehen ist. Vielmehr wird das Gericht den Schaden teilen, aber anders, als wenn das IT-Unternehmen einen entsprechenden Hinweis gegeben hätte. Die hierzu zitierte Rechtssprechung stammt aus den 90er Jahren des vorherigen Jahrtausend und geht (damals vielleicht zu Recht) davon aus, daß die IT-Unternehmen den Kunden gegenüber einen starken Erfahrungsvorsprung hätten. Davon wird heute kaum mehr die Rede sein können.

Frage 4: Was geschieht, wenn K die Software abnimmt und dann später „Mängel“ auftauchen, die sich  in dem Nichtvorhandensein von bestimmten Funktionen manifestieren? Muß A das Pflichtenheft nachträglich erstellen?

Die Abnahme bezieht sich auch auf das Bestehen der Dokumentation. Sofern die Dokumentation fehlt und K rügelos die Abnahme des Werkes erklärt hat, kann der K nach der Abnahme die Erstellung des Pflichtenhefts nicht mehr verlangen.

 

 

 

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